"Bremer Erklärung" - In sozialer Verantwortung für unser Land: Für Wachstum, Arbeit und Sicherheit

Allgemein


Kurt Beck

Beschluss des SPD-Parteivorstandes vom 6. Januar 2007:
Unser Mut bei der Erneuerung Deutschlands zahlt sich heute aus. Die von der SPD-geführten Bundesregierung begonnenen und von der Großen Koalition fortgeführten Reformen beginnen zu wirken. Die Wirtschaft wächst wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist bis Oktober 2006 im Vergleich zum Vorjahr um 392.000 gestiegen. Die Arbeitslosigkeit sinkt deutlich. Die Defizite der öffentlichen Haushalte konnten zurückgeführt werden.

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Wir wollen diese Entwicklung im Jahr 2007 weiter nach Kräften unterstützen und dafür sorgen, dass auch strukturschwache Regionen hiervon stärker profitieren. Dazu müssen die bereits in die Wege geleiteten Reformen umgesetzt werden. Wir wissen dabei sehr genau: Eine Politik der Erneuerung braucht die Akzeptanz und das Engagement der Menschen. Sie muss darauf ausgerichtet sein, die Lebensbedingungen und die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Erfolgreiche Reformpolitik messen wir am Zugewinn, den unsere ganze Gesellschaft erreichen kann. Darum setzen wir auf Augenmaß und soziale Verantwortung.

Unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik verfolgt drei Ziele:

Wachstum: Wir wollen den positiven wirtschaftlichen Trend verstetigen und die Weichen für ein qualitatives Wachstum in wichtigen Zukunftsbereichen stellen.

Arbeit: Wir wollen die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt fortsetzen und dafür sorgen, dass mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert sind.

Sicherheit: Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen auf mehr Sicherheit im Wandel vertrauen können.

Wir brauchen eine anhaltende Wachstumsdynamik, die zu einem höheren Angebot an Arbeitsplätzen führt, und eine vorsorgende Sozialpolitik, die es den Menschen ermöglicht, die Übergänge in ihren Erwerbsbiographien zu meistern und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen.

Je mehr Menschen in Arbeit sind, desto höher ist unser Wohlstand. Das Ziel der Vollbeschäftigung in Deutschland ist gerade nach Jahrzehnten hoher Arbeitslosigkeit von großer Bedeutung. Uns geht die Arbeit nicht aus, im Gegenteil. Unsere Zukunft liegt in der Produktion von innovativen und hochwertigen Gütern und in mehr Angeboten und Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich.

Wir wollen einen möglichst hohen Wohlstand, an dem alle Menschen gerecht teilhaben. Jede Frau und jeder Mann soll die Möglichkeit erhalten, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu erwirtschaften. Die existenziellen sozialen Lebensrisiken müssen verlässlich abgesichert werden, damit die Menschen bereit sind, Risiken einzugehen und mobil zu sein.

Wachstum durch Innovation
Wir setzen auf technologischen Fortschritt. Dieser soll zur ökologischen Erneuerung beitragen, Arbeit humanisieren, Grundrechte schützen und die Lebensqualität steigern. Neue Technologien schaffen neue Märkte, entfachen Wirtschaftswachstum und können die Kräfte unserer Gesellschaft mobilisieren. Sie sind gleichzeitig auch die offensive Antwort zur Lösung nationaler und internationaler sozialer und ökologischer Herausforderungen. Die Chancen der Globalisierung für neue Arbeitsplätze und für die Sicherung des Wohlstands in den kommenden Jahrzehnten sind groß. Um sie zu nutzen, brauchen wir einen Ordnungsrahmen für Wettbewerb, der langfristiges Wachstum unterstützt. Der kurzfristige Profit darf nicht den Ausschlag geben. Wir müssen das ordnungspolitische Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft modernisieren, um es zu erhalten.

Eine innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft braucht deutlich mehr Investitionen in Bildung, berufliche Aus- und Weiterbildung, Forschung und Infrastruktur. Wissen und Ideen sind unverzichtbar für unsere Arbeitsplätze. Weil wir in den meisten Märkten nicht im Kosten-, sondern nur im Qualitätswettbewerb bestehen können, müssen wir den weltweiten Spezialisierungs-, Qualitäts- und Innovationswettbewerb annehmen. Wir setzen auf eine Industriepolitik, die Forschung und Produktentwicklung eng miteinander verzahnt. Wir brauchen eine Standortdebatte in Deutschland, die die Bedingungen für einen Qualitätswettbewerb in den Mittelpunkt stellt.

Besonders kleine und mittlere Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze. Durch den Abbau von Bürokratie, den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und die Teilhabe an Forschung und Entwicklung wollen wir diese gezielt unterstützen.

In dem Maße, in dem Wissen und Qualifikation an Einfluss gewinnen, wächst auch die Bedeutung der innerbetrieblichen Demokratie durch Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen. Starke und verantwortungsvolle Gewerkschaften sind hierfür unverzichtbar. In einer europäisierten Wirtschaft ist es unser gemeinsames Ziel, Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung auf europäischer Ebene zu sichern und auszubauen. Die Vorschläge der Biedenkopf-Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung weisen in die richtige Richtung.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf einen leistungsgerechten Anteil am materiellen Erfolg der Unternehmen. Wir wollen Mitarbeiterbeteiligungsmodelle als Element der ökonomischen Teilhabe attraktiver machen. Hierbei darf das Unternehmensrisiko aber nicht auf die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen übertragen werden.

Die Industrie ist nach wie vor das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Viele Dienstleistungen hängen unmittelbar von der Industrie ab. Industrieprodukte werden aber immer stärker auf Wissen und Dienstleistungen basieren. Unsere Industriepolitik setzt auf den Ausbau der qualitativen Vorsprünge unseres Wirtschaftsstandorts. Unsere Chance liegt darin, Problemlösungen zu entwickeln, die sich weltweit exportieren lassen.

Die Ausrichtung der Energiepolitik gehört zu den grundlegenden Entscheidungen für eine Volkswirtschaft und bestimmt in hohem Maße die Entwicklungspotenziale der Zukunft. Sie muss wegen ihrer hohen Investitionskosten langfristig angelegt sein. Für uns stehen Versorgungssicherheit, Innovation, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz im Mittelpunkt einer modernen Energiepolitik. Einen besonderen Stellenwert nehmen die Steigerung der Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Ein wichtiger Schritt ist die Behandlung eines "Aktionsprogramms Energieeffizienz" auf dem nächsten Energiegipfel. Das Fördervolumen des energetischen Gebäudesanierungsprogramms ist auf jährlich 1,4 Milliarden Euro erhöht worden und stößt damit bis 2009 Investitionen in Höhe von rund 28 Milliarden Euro an.

Es bleibt beim Ausstieg aus der Atomenergie. Denn die Erzeugung von Strom durch Atomkraft ist eine Risikotechnologie, hinterlässt ungelöste Entsorgungsfragen und leistet keinen Beitrag zum Schutz des Klimas. Wir sind für den Erhalt eines Sockelbergbaus, der die Energiesicherheit erhöht und Deutschland auf den Gebieten der Bergbau- und der Kraftwerkstechnologie die bisherige Spitzenstellung sichert.

Energie muss bezahlbar sein. Eine warme Wohnung oder Benzin für das Auto dürfen kein Privileg sein. Bezahlbare Energie ist zudem ein wichtiger Standortfaktor für die Industrie. Um steigenden Energiekosten entgegenzuwirken, brauchen wir mehr Wettbewerb und eine transparente Preisgestaltung. Wichtig ist, dass bestehende Instrumente zur Regulierung des Strom- und Gasmarktes von der Bundesnetzagentur und dem Bundeskartellamt angewendet werden. Wir wollen, dass Deutschland eine führende Rolle bei einem modernen, effizienten, umweltfreundlichen Energiemix und bei der Energieeffizienz einnimmt. Die Zukunft gehört den "ökologischen Märkten". Wir wollen, dass die deutsche Wirtschaft in diese Märkte investiert, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Notwendig ist eine hohe öffentliche Investitionstätigkeit. Da die Kommunen rund die Hälfte der öffentlichen Investitionen tätigen, ist die Verstetigung der kommunalen Einnahmen eine wichtige Voraussetzung. Seit 1992 sind die kommunalen Investitionen gesunken. Die Sozialdemokratie ist stolz darauf, durch ihre Politik dazu beigetragen zu haben, dass das Gewerbesteueraufkommen in den letzten Jahren kräftig angestiegen ist. Der kommunale Investitionsstau kann jetzt schrittweise aufgelöst werden.

Mit der geplanten Unternehmensteuerreform wird der Weg der Stabilisierung der kommunalen Einnahmen weiter fortgesetzt. Wir schaffen mit der Reform eine im internationalen Vergleich wettbewerbsfähige Besteuerung und stellen zudem sicher, dass die Unternehmen auch in Zukunft einen angemessenen finanziellen Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten. Auf dem Papier unterliegen Kapitalgesellschaften in Deutschland der höchsten Unternehmensteuer aller 25 Mitgliedstaaten der EU. Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung führen bislang allerdings häufig dazu, dass die tatsächlichen Steuerzahlungen vornehmlich der großen Unternehmen niedriger liegen. Wir sorgen dafür, dass die in Deutschland erwirtschafteten Gewinne auch hier versteuert werden und Verluste nicht Steuer mindernd nach Deutschland transferiert werden.

Die Dynamik der Finanzmärkte und die Interessen neuer Finanzinvestoren stellen die Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen: An die Stelle der Orientierung am langfristigen unternehmerischen Erfolg treten kurzfristige Renditeerwartungen durch Kauf und Verkauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen. Ziel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ist es, dass die Finanzmärkte einer langfristig ausgerichteten Wirtschaftskultur dienen. Wir wollen Anleger stärken, die statt schneller Rendite ein langfristiges Engagement im Blick haben. Wir wollen das Stimmrecht der Aktieninhaber in dieser Richtung gestalten. Dies ist eine zentrale Regulierungsaufgabe für die führenden Industrieländer der Welt. Wo es möglich ist, wollen wir dies im nationalen Steuer- und Aktienrecht unterstützen.

Die Finanz- und Geldpolitik in Deutschland und Europa muss die Wachstumskräfte stärken. Eine hohe Binnennachfrage ist die Voraussetzung für mehr Beschäftigung. Wir setzen uns für eine an der Produktivität orientierte Lohnpolitik ein.

Solide öffentliche Finanzen sind eine Grundvoraussetzung für Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze. Die öffentlichen Haushalte sind in Deutschland strukturell unterfinanziert. Wir haben eine niedrige Steuerquote, aber gleichzeitig eine hohe Abgabenquote. Die Sicherung der staatlichen Einnahmebasis ist notwendig. Wir streben eine stärkere Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme durch Steuern an, um die Finanzierung der sozialen Sicherung gerechter zu gestalten und die einseitige Belastung des Faktors Arbeit zu überwinden.

Arbeit
Je mehr Menschen in Arbeit sind, desto höher ist unser Wohlstand. Wir wollen die Potenziale und Talente der Menschen nutzen. Die Erwerbsquote der Frauen wollen wir deutlich anheben. Verlässliche und pädagogisch hochwertige Ganztagsangebote für Kinder aller Altersstufen sind Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen. Junge Männer und Frauen brauchen die gleichen Möglichkeiten, durch ihre Berufs- und Studienwahl die bisherige Trennung in typische Männer- und Frauenberufe zu überwinden. Männer und Frauen müssen beim Berufszugang und beim beruflichen Aufstieg gleiche Chancen haben.

Chancen für neue qualifizierte Arbeitsplätze bestehen in Deutschland vor allem im Bereich Dienstleistungen. Dazu zählen Telekommunikations-, Medien-, Finanz- und Logistikdienstleistungen. Aber auch der Bereich der Dienstleistungen am Menschen bei Erziehung, Bildung, Ernährung, Gesundheit und Pflege muss stärker wachsen.

Die Erwerbsquoten von Älteren und Geringqualifizierten müssen deutlich steigen. Auch einfache Dienstleistungen müssen attraktiver gemacht werden. Jede Tätigkeit verdient Respekt und Anerkennung und muss die Chance des Aufstiegs in qualifizierte Arbeit bieten. Wir prüfen die Möglichkeit, einfache Arbeiten besser zu fördern. Hohe Sozialabgaben bremsen dort den Beschäftigungsaufbau. Zudem setzen die im SGB II geltenden Freibeträge bei Erwerbseinkommen falsche Anreize im Bereich geringer Einkommen und fördern den Verbleib im Bezug von Arbeitslosengeld II. Durch einen "Bonus für Arbeit" (Steuer-Gutschrift) könnten wir die Sozialversicherungsbeiträge für Geringverdiener gezielt senken. Mitnahmeeffekte durch Unternehmen müssen dabei vermieden vermeiden. Niedriglohnbezieher mit einer über 30 Wochenstunden liegenden Beschäftigung können dann ein Existenz sicherndes Einkommen erzielen, das über dem Arbeitslosengeld-II-Niveau liegt.

Auch erwerbsfähige Menschen ohne Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt brauchen eine Perspektive. Wir brauchen deshalb einen "Sozialen Arbeitsmarkt". Er soll den ersten Arbeitsmarkt ergänzen und muss für Männer und Frauen die Perspektive einer Integration in den regulären Arbeitsmarkt bieten. Wir müssen dauerhafte, sinnvolle und gesellschaftlich anerkannte Beschäftigung mobilisieren. Wir brauchen dafür mehrere Standbeine, sowohl marktnahe als auch marktferne Bereiche. In jedem Fall ist eine sorgfältige Abstimmung mit den lokalen Akteuren notwendig. Die Finanzierung erfolgt im Wesentlichen über das Sozialgesetzbuch II. Eine Zahl von 100.000 Personen ist für den Anfang realistisch.

Auch wenn die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen im Vergleich zum Vorjahr rückläufig ist, sind Jugendliche sind in besonderer Weise von Arbeitslosigkeit betroffen. Der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit besteht nach wie vor in einem Schul- und Berufsabschluss. Wir halten daher an unserem Ziel fest, dass jeder junge Mensch, der sich ausbilden kann und will, einen Ausbildungsplatz erhalten muss. Wir werden den "Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs" weiterentwickeln und ein besonderes Augenmerk auf die Identifikation des Qualifikationsbedarfs von Jugendlichen werfen, bevor diese die Schule verlassen. Wir wollen die Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher erheblich verringern. Die präventive Förderung der Berufsbildung benachteiligter Jungendlicher ist zu verstärken.

Die erfreuliche Zunahme der Anzahl der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen um knapp 200.000 auf über 590.000 zeigt, dass wieder mehr Arbeit vorhanden ist. Allerdings bestehen zwischen den Qualifikationsprofilen der Arbeitsuchenden und den offenen Stellen häufig Diskrepanzen. Berufliche Fähigkeiten und berufliches Wissen sind daher keine Frage allein der Ausbildung, sondern müssen durch ständige Weiterbildung erhalten werden. Die Beteiligung an der Weiterbildung muss erhöht und ihr Wachstumspotential besser genutzt werden. Die Tarifvertragsparteien sind hierbei in einer besonderen Verantwortung. Die Weiterbildung muss zur vierten Säule des Bildungssystems ausgebaut werden.

Unser Ziel ist es, Arbeitslosigkeit bereits im Ansatz zu verhindern. Dazu müssen die Übergänge zwischen den Lebensphasen besser abgesichert werden. Zugleich ist es von entscheidender Bedeutung, ob es gelingt, die individuelle Arbeitsfähigkeit und Qualifikation zu erhalten und weiter zu entwickeln. Bei der in der Koalition verabredeten Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wollen wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch Qualifizierung fördert. Ein wesentliches Instrument dieser aktivierenden Politik ist für uns, die Arbeitslosenversicherung langfristig zu einer Beschäftigungsversicherung weiterzuentwickeln.

Sicherheit
Die Arbeitswelt wandelt sich. Flexibilität, Mobilität, prekäre Beschäftigungsformen und soziale Risiken haben stark zugenommen. Dieser Wandel darf nicht einseitig zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen. Leiharbeit muss auf missbräuchliche Anwendung beobachtet werden. Wir nehmen das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach sozialer und persönlicher Sicherheit ernst. Der Einsatz für gute Arbeitsbedingungen kennzeichnet sozialdemokratische Politik.

Die Tarifautonomie und der Flächentarifvertrag bleiben für uns die grundlegenden Mechanismen für die Aushandlung und Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Diese konnten jedoch nicht überall verhindern, dass Löhne gezahlt werden, mit denen die Existenz der Menschen nicht mehr gesichert ist. Bestehende Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt und ein Rückgang der Tarifbindung machen staatliches Handeln unabdingbar. Der Gewerkschaftsrat der SPD hat die richtige Richtung vorgegeben: Das Arbeitnehmerentsendegesetz muss ausgeweitet werden, um mehr branchenbezogene Mindestlöhne zu ermöglichen, wie sie das Baugewerbe mit gutem Erfolg praktiziert. Dort, wo es keine ausreichenden Tarifstrukturen gibt oder sie nicht greifen, muss mit gesetzlichen Mindestlöhnen ein Mindestmaß an Absicherung und Anerkennung für geleistete Arbeit ermöglicht werden. Die bestehenden Regelungen des Kündigungsschutzes haben sich bewährt. Deshalb halten wir an ihnen fest.

Das Leitbild unserer Politik für mehr soziale Sicherheit ist der Vorsorgende Sozialstaat. Wir wollen durch vorausschauende Sozialpolitik die Menschen dabei unterstützen, ihr Leben selbst bestimmt zu meistern und ihre Perspektiven zu verwirklichen. Dazu wollen wir stärker aktivierende, präventive und investive Ziele in den Mittelpunkt stellen. Der Vorsorgende Sozialstaat soll Existenz sichernde Erwerbsarbeit, gute Erziehung und Bildung fördern, die Gesundheitsprävention weiter stärken. Er muss Armut und Ausgrenzung jeglicher Art verhindern. Der Vorsorgende Sozialstaat hat die Aufgabe, die Menschen in jeder Lebenslage in die Gesellschaft zu integrieren.

Präventive und in Menschen investierende Sozialpolitik kann zur finanziellen Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme beitragen. Zugleich sichert der Vorsorgende Sozialstaat die großen Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall oder Pflegebedürftigkeit solidarisch ab und garantiert die Altersvorsorge, die aber immer stärker durch Eigenvorsorge ergänzt wird. Angesichts der veränderten Erwerbs- und Arbeitsbiographien wollen wir unsere sozialen Sicherungssysteme so weiterentwickeln, dass sie für die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsphasen Sicherheit gewährleisten. Je erfolgreicher die Vorsorge wirkt, desto gezielter kann der Sozialstaat denjenigen helfen, die besonderer Unterstützung bedürfen. Dafür sind viele Politikfelder miteinander zu vernetzen und frühzeitige Vorsorge zu organisieren.

Die Anhebung der Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung auf 67 Jahre ist daher von uns durch die "Initiative 50plus" mit Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen verzahnt worden. Wir flankieren damit die für die nachhaltige Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung notwendige, ab 2012 schrittweise erfolgende Erhöhung des Renteneintrittsalters und sorgen schon heute dafür, die demographischen Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können. Wir brauchen vor allem mehr Anstrengungen in der Weiterbildung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze erwerbstätig bleiben können.

Auch die Reform des deutschen Gesundheitswesens wollen wir am Leitbild des Vorsorgenden Sozialstaates ausrichten. Wir wollen auch künftig ein solidarisches Gesundheitswesen, das allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung bietet und sie an neueren Entwicklungen teilhaben lässt. Deshalb bleibt auch die solidarische Bürgerversicherung im Gesundheitswesen und in der Pflegeversicherung unser Ziel. Produkte und Dienstleistungen im Gesundheitsbereich sind Zukunftsmärkte mit der Chance auf eine wachsende Zahl an Arbeitsplätzen. Wir stehen zu den Eckpunkten der Gesundheitsreform und wollen sie umsetzen.

Wir wollen die Kluft zwischen Arm und Reich verkleinern. Das schaffen wir vor allem durch die Integration von mehr Menschen in den Arbeitsmarkt und eine sozial gerechte Steuerpolitik. Öffentliche Investitionen sollen vor allem unseren Kindern nutzen und daher auf bessere Bildung und familiengerechte Infrastruktur zielen. Auf diesem Gebiet hat Deutschland den größten Nachholbedarf. Reformpolitik muss für die Menschen nachvollziehbar und unterstützenswert sein. Sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik hat zum Ziel, die Wachstumskräfte der Wirtschaft zu stärken, Arbeitsplätze zu schaffen und die Sicherheit für die Menschen zu erhöhen.

 

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